Donnerstag, 28. Mai 1840 - Der Auftrag

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Santa Marta, Montag, 25. Mai 1840

Euer Ehrwürden Magister Arminio Cavallaro


Mit diesem Brief ersuche ich um Eure Hilfe.

Meine Tochter Lorelia wird seit einigen Monaten vermisst. Auf meine telepathischen Rufe reagiert sie nicht. Ihre Anwesenheit ist in Santa Marta für Familienangelegenheiten jedoch dringend erforderlich.

Anbei habe ich Euch ein Porträt von meiner Tochter gelegt. Sie ist 26 Jahre alt und hat ihre Gesellenprüfung letzten Herbst absolviert. Seitdem geht sie ihrem eigenen Studium der edlen Steine nach. Da es in Brasilien zahlreiche Edelsteinvorkommen gibt, vermute ich, dass sie sich in einer der Minen in Minas Gerais oder den umliegenden Wäldern versteckt. Diese Gegend ist während ihrer Ausbildung bei Magistra Glandera zu einer zweiten Heimat geworden.

Da mir Eure Spezialfähigkeiten im Umgang mit Flüchtigen bei der Gendarmerie in Rom bekannt sind, möchte ich Euch gern privat beauftragen: Bringt mir meine Tochter bis Ende Juli zurück, und Ihr erhaltet ein Kilogramm Gold als Bezahlung.

Hochachtungsvoll
Thiveus Guedes Flores

 


  

Arminio

Nur ein Kilogramm Gold für ein entlaufenes Gör? Willst du mich beleidigen? Kopfschüttelnd ließ Arminio den Brief auf seinen Schreibtisch sinken. Che palle. Du bist zu dumm, um zu wissen, wie ich arbeite. Wenn dir deine Tochter etwas wert wäre, würdest du mir mehr bieten. Wie soll ich sie anhand eines Porträtbilds suchen? Arminio haute mit seinem Handrücken abfällig auf die Zeichnung und sah aus dem Fenster auf das Straßencafé unweit der Piazza Navona. Warum hatte ihm der Luftmagier überhaupt einen Brief zukommen lassen, und sein Anliegen nicht telepathisch vorgetragen, wie es üblich war?

Mit zusammengezogenen Augenbrauen starrte der Capitano der römischen Gendarmerie auf die Augen der Gesellin. Für eine Kolumbianerin hatte sie ungewöhnlich kornblumenblaue Iriden. Warum antwortest du nicht auf die Rufe deines Vaters?, befragte er die Zeichnung und legte den Kopf schräg. Das Lächeln der Gesuchten war eindeutig gestellt. Die langen, dunklen Haare und die vollen Lippen würden ihm in Südamerika bei einer Suche nicht weiterhelfen. Es wimmelte dort vor Schönheiten wie ihr. Für die Fahndung benötigte er etwas Zusätzliches: eine Wärmesignatur ihres Körpers. Wenn er in den vergangenen Jahrzehnten die Zusammenkünfte in Chattenberg nicht vermieden hätte, wäre ihm Glanderas Akolythin sicherlich aufgefallen.

Eine nervöse Vorahnung durchfuhr seinen Körper. Die Wälder von Kolumbien waren das Hoheitsgebiet der Mafia und Brasilien war nicht besser. Dieser Fall stinkt gewaltig. Auch wenn das Geld nicht passt, ich will wissen, warum sich Lorelia ausgerechnet dort sicher fühlt.

Aus der untersten Schublade seines Mahagoni-Schreibtisches holte der Capitano eine neue Mappe hervor. Dann tauchte er seine Schreibfeder in das Tintenglas und schrieb ‚Lorelia‘ auf die Akte. Arminio hatte bei einer nichtmagischen Frau eine bewährte Taktik: Sein kupferrotes Haar war ein Blickfang und sein sizilianischer Charme entwaffnend. Er las ihre Gedanken, sprach sie an, verwickelte sie in ein Gespräch über ihre Interessen und überzeugte sie, mit ihm zu kommen. Spätestens, wenn er ihr versicherte, dass er sie schützen würde, hatte er die Frau dort, wo er sie haben wollte: in seinem Büro in der Gendarmerie oder im Bett. Da Lorelia eine Magierin war, musste Arminio anderweitig erfahren, was sie bewegte. Er grinste breit, als er sich auf die telepathische Verbindung mit der Meisterin der Gesuchten vorbereitete.

„Glandera? Hier ist Arminio, darf ich einen Moment um deine Aufmerksamkeit bitten?“

Die Erdmagierin antwortete ihm sofort. „Grüße Arminio, bitte sprich.“

„Ich hätte ein paar Fragen zu deiner ehemaligen Studentin Lorelia. Darf ich dich persönlich aufsuchen?“

Eine kurze Pause entstand, bevor Glandera antwortete. „Ferron und ich sitzen gerade auf seiner Terrasse. Komm doch auf einen Kaffee bei uns vorbei.“

„Sehr gern, vielen Dank.“

Mit geübten Handgriffen räumte er seinen Schreibtisch auf, faltete den Brief zusammen und steckte ihn mit der Zeichnung zurück in den Umschlag. Seine Hand schwang in einer liegenden Acht und das blauviolette Portal öffnete sich in den Erdtrakt der Magierakademie der hohen Künste zu Chattenberg.

 

„Zio Ferron.“ Arminio neigte sein Haupt, um seinen Patenonkel zu grüßen.

„Sei gegrüßt, Arminio“, erwiderte der Erdmagier. 

„Grüße, Glandera.“ Lächelnd beugte sich der Feuermagier zu der Kristallmagierin hinunter, um sie mit zwei Wangenküssen zu begrüßen.

Mit einem warmen Lächeln sah Glandera den Sizilianer an. „Arminio, es freut mich so, dich zu sehen. Setz dich bitte.“ Mit einer einladenden Bewegung deutete sie auf den gusseisernen Gartenstuhl und streichelte dabei über ihren Bauch.

„Gern. Vielen Dank, dass du für mich Zeit hast. Wie geht es dem Baby?“ Er faltete die Hände auf seiner roten Hose.

„Sehr gut.“ Glandera hatte dieses innere Leuchten, das nur eine Schwangere ausstrahlen konnte, und suchte mit der freien Hand die von Ferron. „Wir freuen uns so sehr.“

Der Feuermagier nickte und war froh, dass sie sich endlich den Kinderwunsch erfüllten. „Und wie geht es dem werdenden Vater?“

Das Strahlen von Ferron glich einem Leuchtturm. „Ebenfalls ausgezeichnet.“

Glandera sah zum Himmel. „Er ist noch aufgeregter als ich und lässt mich kaum aus den Augen. Ständig sagt er mir, ich solle mehr ruhen.“

Arminio schmunzelte. „Kein Wunder. Für Ferron bedeutet dieses Baby die Welt.“

Der Erdmagier lehnte sich entspannt zurück. „Ich habe auch über vierhundert Jahre auf diesen Moment gewartet.“

Mit magischem Blick starrte Arminio auf ihren Bauch. Schnell hatte er die Nabelschnur gefunden und sah den Blutkreislauf des Ungeborenen. „Ihr wisst bereits, welches Geschlecht das Baby hat, oder soll ich es euch verraten?“

„Bloß nicht! Wir möchten uns überraschen lassen.“ Glandera winkte lachend ab.

„Möchtest du eine Tasse Kaffee?“, fragte Ferron.

„Nein, danke.“

Glandera legte den Kopf schräg. „Wie kann ich dir weiterhelfen?“

Der Capitano fuhr sich mit den Fingern durch sein kurzes, kupferfarbenes Haar. „Können wir die Angelegenheit drinnen besprechen?“

Die Magierin stand behäbig auf. „Du weißt, dass ich keine Geheimnisse vor Ferron habe. Ich werde ihn sicher über unser Gespräch in Kenntnis setzen.“

 

Glanderas Arbeitszimmer hatte sich seit seinem letzten Besuch verändert, doch Arminio interessierten die farbenfrohen Minerale, die im Sonnenlicht glitzerten, nicht. Er folgte der Erdmagierin an ihren Schreibtisch, neben dem bereits eine Krippe stand, und nahm auf dem Besucherstuhl Platz.

Leise seufzend lehnte sich Glandera in ihrem Stuhl zurück. „Nun, Arminio, worum geht es?“

„Gesellin Lorelia wird von ihrem Vater vermisst. Anscheinend hat sie sich seit ihrer Prüfung nicht mehr bei ihm gemeldet.“ Er griff in seine Brusttasche und reichte ihr den Brief „Magister Thiveus hat mich damit beauftragt, sie in den brasilianischen Edelsteinminen zu suchen, doch bevor ich mich auf den Weg mache, wollte ich fragen, ob du etwas über sie erzählen magst. Schließlich warst du ihre Meisterin.“

Glandera überflog die Zeilen und ihre Stirn runzelte sich. „Was genau möchtest du wissen?“

„Wann hast du sie das letzte Mal gesehen?“

Ihre Augenbrauen bildeten eine feine Linie in der Mitte. „Vor etwa zwei Monaten.“

„Weswegen?“

Glandera schüttelte leicht den Kopf. „Ganz banale Dinge: Sie wollte mit mir über ihre neusten Forschungsergebnisse reden.“

„Edelsteinthemen?“

„Ja, genau.“

Er senkte das Kinn. „Wie ging es ihr?“

Ungläubig zuckte Glandera mit den Schultern. „Sie war glücklich, ihre Augen leuchteten vor Begeisterung. Wir waren beide in unserem Element, als wir fachsimpelten. Arminio, ich weiß nicht, was dir diese Befragung bringen soll. Möchtest du, dass ich sie rufe? Dann kannst du direkt mit ihr reden.“

„Nein. Ich will sie nicht vorwarnen.“ Er machte eine Pause, bevor er leiser fortfuhr. „Ich frage mich, was sie für einen Grund hat, nicht auf die Rufe ihres Vaters zu reagieren? Welche Frau zieht es vor, in der Wildnis zu leben?“

Glandera lachte gespielt. „Was für ein Unsinn! Es gibt Menschen, die schätzen die unberührte Natur, weil es ihr Zuhause ist. Selbst ihre Ausbildungszeit haben wir hauptsächlich in den Minen verbracht. Als Erdmagierin kennt sie jeden Stein und Felsen. Sie weiß, wie sie sich gegen die wilden Tiere wehren kann, und hat einen guten Orientierungssinn. Sie geht nicht einfach verloren.“

„Ist das Gebiet weitläufig?“

„Oh ja.“ Glandera strich sanft über ihren Bauch. „Brasilien ist reich an Edelsteinvorkommen. Es ist ein wahres Paradies für uns.“

„Was ist mit dem Kartell? Seid Ihr jemals bedroht worden oder in einen Schusswechsel geraten?“

„Solange man die Insignien trägt, lassen sie einen in Ruhe. Am einfachsten ist es, wenn man sich ankündigt. Du weißt, dass es heikel ist, wenn man aus einem Portal tritt und den magischen Schutzschild neu aufbauen muss. Anschließend kann man sich frei bewegen.“ Glandera seufzte und tippte auf ihren Bauch. „Doch in diesem Zustand lässt mich Ferron nicht nach Südamerika reisen. Ich werde nicht unterstützen können.“

Arminio richtete sich im Stuhl auf. „Ich würde genauso handeln. Kannst du mir alternativ dazu eine Karte der brasilianischen Wälder mit den Minen geben?“

Die Magistra nickte und beide erhoben sich. Als sie vor ihm stand, änderten ihre Iriden die Farbe von Braun in das Gold von Bernsteinen. Sie legte ihren Daumen auf Arminios Stirn. Vor seinem inneren Auge erschien die Landschaft. Städte und Ortsnamen, die er bereits kannte, gaben ihm eine Möglichkeit, sich zu orientieren. Sein Wissen wurde mit leuchtenden Punkten von Bergwerken ergänzt – die Position der Edelsteinvorkommen in den Tiefen der Erde.

„Beeindruckend, wie viele Vorkommen es gibt.“ Arminio bedankte sich mit einem Kopfnicken.

„Du brauchst mir nichts vorzumachen. Ich weiß, wie wenig dich Edelsteine interessieren.“

Arminio reckte sein Kinn. „Worauf ist Gesellin Lorelia spezialisiert?“

Glanderas Augen glitzerten. „Auf die Lithotherapie. Sie erforscht derzeit alternative Heilmethoden. Von der Erdelementarlehre besitzt sie nur die erforderlichen Grundkenntnisse – sehr zum Ärgernis von Ferron.“

„Du weißt, dass ich ein Wärmebild benötige, um Lorelia zu finden. Kannst du mir ihr Aussehen übermitteln? Vielleicht kannst du dich auch an einen Einsatz erinnern, an den auch ich gerufen wurde.“

In seinem Geist erschien eine Erdmagierin in Ornat. Lorelia trug ihr dunkles Haar offen und strahlte, während sie Glandera einen violettfarbenen Edelstein zeigte.

„Lass uns miteinander überlegen.“ Zielstrebig ging Glandera zu einer Vitrine und holte einen grün-violett gestreiften Edelstein hervor, der die Form eines Oktaeders hatte. „Hier, der Fluorit wird uns bei der Konzentration helfen.“

Arminio hielt nichts von deren Wirkung, doch er wusste, dass Glandera eine großartige Kristallmagierin war. Somit ließ er es zu, dass sie den Stein in seine Hände legte und mit ihren umschloss. Gebannt sah er in ihre bernsteinfarbenen Iriden, während sie Magie wirkte.

„Am 25. Mai 1834 wurdet ihr zu einem Erdbeben gerufen, um Verschüttete zu suchen. Dort assistierte sie mir.“

Blitzschnell durchforstete Arminio seine Erinnerungen. Jeder Mensch war in seinem Aussehen einmalig, und so verhielt es sich auch mit dessen Wärmesignatur in seiner magischen Sicht. Sobald er die warmen Leiber der Opfer gefunden hatte, teilte er deren Lage den Erdmagiern mit, damit sie die Gebäude vom Schutt befreien konnten. Die Adern im Körper glichen einem einmaligen Fingerabdruck, und da er die Signatur von Glandera kannte, brauchte er nicht lange, bis er eine Frau an ihrer Seite erkannte. Sie war groß, schlank, durchtrainiert und bewegte sich grazil. Damit konnte er seine Suche starten.

„Ich danke dir. Lebt sie heute nach dem Kodex der Magierakademie?“

„Natürlich tut sie das. Die Sicarios sind nicht zimperlich, wenn jemand seine Insignien nicht offen trägt.“

Das beruhigte Arminio. Lorelia schien nicht ganz so kopflos zu sein, wie ihr Vater behauptete. „Hast du jemals Beschwerden über Lorelia erhalten, dass sie einem Magister nicht antwortete?“

„Niemals. Wenn wir sie rufen, erhalten wir direkt eine Rückmeldung.“

Das passt einfach nicht zusammen, dachte Arminio. „Was wäre dann deiner Meinung nach ein Grund, dass sie ihrem Vater nicht antwortet?“

Glandera wog den Kopf hin und her. „Das Verhältnis war schon lange angespannt. Da er Luftmagier ist, wundert es mich nicht, dass sie gegenteilige Ansichten vertreten, doch Thiveus erschien nicht einmal zu den Feierlichkeiten ihrer Gesellenprüfung.“ Sie nahm den Edelstein aus seiner Hand und trat einen Schritt zurück „Lorelia ist eine stolze Latina und außerdem freiheitsliebend. Das sind Charaktereigenschaften, die dir bekannt sein sollten.“

Langsam zogen sich Arminios Mundwinkel nach oben. Ihre Spitzfindigkeit amüsierte ihn. Mit einer routinierten Bewegung formte Arminio eine liegende Acht. „Ich danke dir, Glandera. Grüße bitte Furio von mir, falls du ihn vor Sonntag noch siehst.“

„Das mache ich.“ Glandera neigte den Kopf zum Abschied. „Ich wünsche dir viel Erfolg, Arminio.“

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Dec 8, 2022 15:12

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